Ver­öf­fent­licht: 29.12.2023 | Aktua­li­siert: 30.12.2023

Heute sind mir beim Auf­räu­men alte Zeich­nun­gen in die Hände gefal­len. Sie haben etwas wun­der­bar unge­len­kes; fast wie Kin­der­zeich­nun­gen, nur nicht ganz so char­mant. Und tat­säch­lich bil­den sie nach einer lan­gen, lan­gen Pause, in der mir die Kraft für Krea­ti­vi­tät abhan­den­kam, den zwei­ten Start in ein zeich­ne­ri­sches Leben.

Der erste Start sind blaue Kugel­schrei­ber­krin­gel, die ich als Zwei­jäh­rige in ein Papp­bil­der­buch male. Das Bil­der­buch wird durch drei Metall­ringe zusam­men­ge­hal­ten und zeigt auf jeder Seite ein Tier. Beson­ders viele Krin­gel sind auf der Seite mit dem Stock­enten­er­pel. Um sei­nen Kopf herum ist viel blauer Him­mel, viel Platz für eckige Krin­gel in allen Grö­ßen, ein­ge­drückt in die beschich­tete Pap­pober­flä­che. Als Kind halte ich den Stift wie einen Mei­ßel. Ich male mit vol­lem Kör­per­ein­satz, die Faust eng geschlossen. 

Rund 25 Jahre spä­ter ent­ste­hen neue »erste« Zeich­nun­gen. Sie ent­ste­hen im Urlaub; ich bemühe mich, Land­schaft fest­zu­hal­ten. Man sieht die Mühe und ahnt die Land­schaft. Zwar habe ich eine klare Vor­stel­lung davon, wie die Skizze auf dem Papier aus­se­hen soll. Das tat­säch­li­che Ergeb­nis aber ist ein blas­ses, fla­ches Abzieh­bild des­sen, wie ich es gerne hätte.

Die Lücke zwi­schen Wol­len und Kön­nen ist des­il­lu­sio­nie­rend groß.

Eine ungelenk gezeichnete Landschaft mit einem See im Vordergrund und Bergen im Hintergrund
Eine ungelenk gezeichnete Landschaft mit einem Hang vor einem See im Vordergrund und Bergen im Hintergrund

Typi­sche Anfän­ger­skiz­zen: Sie resul­tie­ren aus einem unge­üb­ten Blick gepaart wenig Erfah­rung mit Dar­stel­lungs­tech­ni­ken und unge­len­kem Umgang mit Stif­ten, Far­ben und Papier. Schön, dass sie da sind. Denn ohne einen Start­punkt gibt es auch keine Ent­wick­lung.
© Vik­to­ria Cvetković

Der Unterschied zwischen Produkt und Prozess

Den­noch höre ich nicht auf zu zeich­nen. In den nächs­ten Tagen mache ich noch eine Skizze und noch eine und noch eine. Keine davon gefällt mir wirk­lich gut, den­noch ent­wi­ckelt das Zeich­nen eine Sog­wir­kung. Sobald ich mich mit Stif­ten, Far­ben und Papier irgendwo hin­setze, meine Umge­bung beob­achte und skiz­ziere, geht es mir bes­ser. Ich werde inner­lich ruhi­ger, das Gedan­ken­ka­rus­sell macht Pause, die Anspan­nung, die ich stän­dig an mir hängt wie Herr Nils­son an Pippi Lang­strumpf, ist in die­sen Momen­ten weg.

Ich bin unzu­frie­den und zufrie­den zugleich. Unzu­frie­den mit dem Ergeb­nis, mit der Zeich­nung, die ich gerade nicht bes­ser hin­be­komme. Weil ich nicht weiß, was ich anders machen müsste, damit es so aus­sieht, wie ich will. Zufrie­den, weil ich in jeder Faser spüre, wie gut es mir tut, zu zeich­nen. Meine Auf­merk­sam­keit ist ganz bei die­sem einen Bild­aus­schnitt, nur bei die­sem Stück­chen Welt. Ich bin ent­spannt. Das Tun ent­spannt mich. 

Bleistiftskizzen von einer Straßenlaterne, einem Baum, einer Flagge und einem Fenster
Bleistiftskizzen von einem Burgberg in der Stadt

So lang­sam wird der Strich siche­rer. Im Laufe der Zeit pro­biere ich viele ver­schie­dene Mate­ria­lien aus und habe eine Phase, in der ich fast nur Gra­phit­skiz­zen mache.
© Vik­to­ria Cvetković

Ich erlebe zum ers­ten Mal bewusst den Unter­schied zwi­schen Pro­dukt und Pro­zess. Der Zei­chen-Pro­zess ist das, was mich anzieht und es mich immer wie­der neu ver­su­chen lässt; das Zei­chen-Pro­dukt wird mit der Zeit bes­ser wer­den, ich bin mir sicher.

Jetzt, viele Jahre spä­ter, bin ich froh, dass ich diese ers­ten Zeich­nun­gen auf­be­wahrt habe. Sie zu betrach­ten evo­ziert das­selbe Gefühl von medi­ta­ti­vem Geer­det-Sein, das ich damals gespürt habe. Als Pro­dukt gefal­len sie mir noch immer nicht (und ich musste mich über­win­den, sie hier, in mei­nem beruf­li­chen Schau­fens­ter, zu zei­gen), aber ich kann an ihnen auch erken­nen, wie weit sich mitt­ler­weile die Lücke zwi­schen Kön­nen und Wol­len geschlos­sen hat.

Es wäre unan­ge­mes­sen, sie geringzuschätzen.

Ohne diese ers­ten Zeich­nun­gen – die blauen Krin­gel im Papp­bil­der­buch und die ver­wa­sche­nen Land­schafts­skiz­zen – wäre ich heute nicht da, wo ich bin.

Bleistiftskizzen vom Bauernhof mit einem Stall- und Speichergebäude, einem Maulbeerbaum und einer Heugabel

Man­che von die­sen ers­ten Skiz­zen sind noch in ande­rer Hin­sicht wert­voll: Sie doku­men­tie­ren, was es nicht mehr gibt. So wie die­ses Gebäude auf dem Bau­ern­hof mei­ner Groß­el­tern und eine natur­ge­wach­sene Heu­ga­bel.
© Vik­to­ria Cvetković

Und einige wenige die­ser Skiz­zen die­nen mir auch als Bild­re­fe­renz für meine Gra­phic Novel. Gut, dass es sie gibt, denn Fotos davon habe ich nicht, und durch die Zeich­nun­gen sind mir die wesent­li­chen Details tat­säch­lich wie­der präsent.

Wie stehst du zu dei­nen alten Zeich­nun­gen? Eine Quelle für Scham? Oder Freude dar­über, dass du sie noch hast? Lass mir gerne dei­nen Gedan­ken in der Kom­men­tar­box unten da.

Das war’s für heute. Wir können aber in Kontakt bleiben:

Viktoria zeichnet © Viktoria Cvetković

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Hi, ich bin Viktoria.

Ich bin Zeich­ne­rin, Autorin und Dozen­tin. Ich erzähle mit Bildern.

Meine bevor­zugte Zei­chen­tech­nik ist die Skizze, meine liebs­ten Medien sind Tusche und Aqua­rell. Ich for­sche mit dem Stift in der Hand und liebe es, Men­schen, Gebäude, Orte, Hand­werk­li­ches und All­täg­li­ches zeich­nend zu dokumentieren.

Die Resul­tate sind gra­phi­sche Repor­ta­gen, häu­fig in Form von hand­ge­bun­de­nen Künstlerbüchern.

Hier im Blog schreibe ich über Dinge, die mich aktu­ell bewe­gen und zeige, was so alles in mei­nen Skiz­zen­bü­chern lan­det. Wenn du noch näher dran sein willst, auch für Ein­bli­cke zum aktu­el­len Gra­phic-Novel-Pro­jekt, dann hüpf gerne auf mei­nen News­let­ter.