Veröffentlicht: 16.12.2022 | Aktualisiert: 27.12.2022 | Mit (*) sind Partner-Links gekennzeichnet
In den letzten drei Tagen habe ich abwechselnd genäht und gezeichnet. Tag für Tag sind so zwei Nesteldecken entstanden: eine echte und eine zeichnerisch dokumentierte. Die echte habe ich inzwischen verschenkt.
Was eine Nesteldecke ist und was sie bewirkt
Nesteln ist ein typisches Verhalten bei Menschen mit Demenz. Alles, was in Reichweite ist, wird befühlt, in die Hände genommen, zerzupft, gedreht, zerknüllt, wieder glattgestrichen. Was dahintersteckt, ist noch nicht ganz klar. Nachvollziehbar finde ich aber den Gedanken, dass das Nesteln zur Selbstberuhigung dient. Vielleicht auch, um den eigenen Körper noch zu spüren und mit der Umgebung in Kontakt zu bleiben.
Bei Menschen mit Demenz verlöschen nach und nach viele Fähigkeiten. Das betrifft weit mehr als das Kurzzeitgedächtnis. Menschen mit Demenz sind also nicht einfach nur »schusselig«. Irgendwann ist zum Beispiel auch selbständiges Aufstehen nicht mehr möglich, einen Löffel zu greifen wird zur Herausforderung und am Ende des Lebens funktioniert auch das Schlucken nicht mehr.
Nesteldecken können Menschen, die eine Demenz haben, beruhigen – oder sehr ruhige Menschen auch aktivieren. Idealerweise bieten die Nesteldecken viele Reize zum Fühlen, Tasten, Streicheln, Zupfen, Ziehen, Verschieben usw. Dementsprechend sollten sie aus verschiedenen Stoffen zusammengesetzt sein, die sich unterschiedlich anfühlen. Außerdem bieten gut befestigte Kleinteile (z. B. Knöpfe, Taschen, Schnüre, Reißverschlüsse) jede Menge taktile Reize.
Verwendetes Material für die Nesteldecke
Nach einiger Recherche auf diversen Nähblogs und in Online-Shops (und einer leider unbeantwortet gebliebenen Anfrage bei einer Dame, die schreibt, sie würde Nesteldecken verschenken), habe ich mich dafür entschieden, selber zu nähen statt zu kaufen. In den Shops waren die angebotenen Nesteldecken entweder übertrieben teuer, oder es fehlten Elemente, die ich gerne darauf gehabt hätte.
So habe ich eine alte Jeans zerschnitten und ein Hosenbein als stabiles Trägermaterial für alle anderen Elemente verwendet. Von links nach rechts aufgenäht sind:
- der Hosenstall der Jeans mit Knopf, Reißverschluss und Gürtelschlaufe,
- ein Satinband am Reißverschluss, damit man leichter greifen und ziehen kann,
- ein festes Leinenband, auf dem Holzringe hin und hergeschoben werden können (und dabei schön klappern),
- einen elastischen Stoffrest aus Jersey, den man auseinanderziehen kann,
- ein Stück aus einem Hemd mit Knopfleiste und Tasche, in der sich Gegenstände verstecken lassen,
- zwei große Klettpunkte unter dem Hemdstoff, die man öffnen und schließen kann,
- ein durchs Hemdloch gefädeltes Band, an deren einem Ende eine gelochte Muschel eingebunden ist, und an deren anderem Ende zwei metallene Rundknöpfe eingeknotet sind (machen auch schöne Geräusche),
- drei wunderbar glatte Satinbänder in verschiedenen Farben und Längen,
- ein Säckchen aus Jerseystoff, gefüllt mit trockenen Bohnen,
- zwei Herzen aus rotem Filz,
- ein Hemdsärmel mit Manschette, Knöpfen, einem Eingriff (der wie eine Tasche funktioniert) und einem zusätzlichen blauen Satinband zum Ziehen.
- Im Hemdsärmel ist außerdem eine Handgelenksstulpe aus Wolle versteckt, die von außen fühlbar ist und sich durch den Eingriff herausziehen lässt.
Alles Material stammt aus meiner Stoffreste-und-Knöpfe-Kiste bzw. aus dem Altkleidersack, der hier seit geraumer Zeit darauf wartet, weggebracht zu werden. Investition für die individuelle Nesteldecke: 0 Euro fürs Material plus 3 Abende an der Nähmaschine, verbunden mit liebevollen Gedanken an einen besonderen Menschen. Ich bin gespannt, was die kleine Nesteldecke bewirken wird.
Dank und weitere Ressourcen
Ich danke Peggy Elfmann dafür, dass sie mich mit ihrem Blog »Alzheimer und wir« auf die richtige Spur gebracht hat, was das Nesteln angeht. Ihre Artikel sind sehr persönlich und eine wahre Mutmach-Fundgrube zum Thema Demenz.
Wer keine Lust hat, gleich eine Nesteldecke zu nähen, findet bei ihr eine Anleitung für eine schnell gemachte Fühlschnur. Außerdem hat sie Jessica Prumbaum interviewt, die erklärt, wie sie ihre Nesteldecken näht – bei Jessica hätte ich gekauft, wenn ich eine passende Decke gefunden hätte.
Wertvolle und sehr umfassende Informationen zu allen Stadien der Demenz, Hilfsangeboten und dem Umgang mit Menschen, die eine Demenz haben, bietet die Deutsche Alzheimer Gesellschaft e. V. Neben den sehr guten Broschüren gibt es zum Beispiel auch einen regelmäßigen Podcast.
Verwendetes Material für die Zeichnung
Die Zeichnung ist Teil meines Dezember-Leporellos, das ist mein graphisches Tagebuch. Das Leporello habe ich aus Aquarellpapier von Fabriano hergestellt (300 g/m², von der 10-Meter-Rolle auf Maß geschnitten und gefaltet). Für die Outlines in der Zeichnung habe ich einen Kalligraphiefüller (Sailer Fude) mit wasserfester schwarzer Tinte (Rohrer & Klinger) verwendet, für die Schrift eine Tauchfeder aus Stahl (Brause) und schwarze Tusche (Royal Talens). Koloriert ist das Ganze mit Aquarellfarben (Windsor & Newton).
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Hi, ich bin Viktoria.
Ich bin Zeichnerin, Autorin und Dozentin. Ich erzähle mit Bildern.
Meine bevorzugte Zeichentechnik ist die Skizze, meine liebsten Medien sind Tusche und Aquarell. Ich forsche mit dem Stift in der Hand und liebe es, Menschen, Gebäude, Orte, Handwerkliches und Alltägliches zeichnend zu dokumentieren.
Die Resultate sind graphische Reportagen, häufig in Form von handgebundenen Künstlerbüchern.
Hier im Blog schreibe ich über Dinge, die mich aktuell bewegen und zeige, was so alles in meinen Skizzenbüchern landet. Wenn du noch näher dran sein willst, auch für Einblicke zum aktuellen Graphic-Novel-Projekt »Luftwurzeln«, dann hüpf gerne auf meinen Newsletter.
Liebe Viktoria,
dein Artikel berührt mich sehr stark. Und er erinnert mich an einen besonderen Teddy, den ich mal selbst gehäkelt und mit selbstgemachter Kleidung ausgestattet habe. Für einen besonderen Menschen etwas Besonderes zu kreieren und mit Händen und liebevollen Gedanken fertigzustellen, ist tröstlich und verbindend. Es verleiht dem Geschenk eine Seele, nicht wahr? Ich wünsche dem beschenkten Menschen gute Momente mit deiner wunderbaren Decke.
Liebe Grüße,
Silke