Die letzte Kinderzeichnung

Die letzte Kinderzeichnung

Ver­öf­fent­licht: 23.02.2023 | Aktua­li­siert: 24.02.2023 | Soll­test du ein (*) im Text fin­den, dann sind damit Part­ner-Links gekenn­zeich­net. Die füh­ren nor­ma­ler­weise zum sozia­len Buchhandel.

Ich bereue fast nichts, was ich bis­her in mei­nem Leben getan habe. (Im Gegen­satz zu Din­gen, die ich nicht getan habe. So etwas wich­ti­ges, wie Zeit mit nahen Men­schen zu ver­brin­gen, auf »spä­ter« zu ver­ta­gen, ist keine gute Idee.)

Es gibt aber doch zwei Dinge, die mir spon­tan ein­fal­len: Das erste hat mit einem Mäd­chen zu tun, das ich gerne um Ent­schul­di­gung bit­ten würde, weil ich in einer für sie schwie­ri­gen Situa­tion sehr gemein zu ihr war. Ja, wir waren noch Kin­der, aber es gibt Gren­zen, bei denen spürt man auch als Kind, dass man sie nicht über­schrei­ten sollte. Dass sie kurz danach weg­ge­zo­gen ist, macht es nicht besser.

Die zweite Reu­e­welle über­kommt mich, wenn ich an meine Kin­der­zeich­nun­gen denke. In einem über­aus sel­te­nen Anfall von Auf­räum­wahn habe ich sie als Teen­ager weg­ge­wor­fen. Ich kann mich noch genau an den Moment erin­nern, als ich den dicken Packen zum Sta­pel alter Zei­tun­gen gelegt habe, die fürs Alt­pa­pier bestimmt waren. Und an die vor­sich­tige Nach­frage mei­nes Vaters, ob ich wirk­lich sicher bin, dass das alles wegsoll.

Wie oft habe ich mir gewünscht, diese Ent­schei­dung rück­gän­gig machen zu kön­nen. Aber weg ist weg. Alles.

Es gibt noch einen ein­zi­gen Foto­ab­zug, auf dem im Hin­ter­grund ein gemal­tes, groß­for­ma­ti­ges Selbst­por­trät an der Wand zu sehen ist. Lei­der ist es nicht gut zu erken­nen. Nur, dass es ein Kopf­füß­ler ist.

Kannst du dir vorstellen, welche Freudensprünge ich gemacht habe, als ich »Fritzchen« zufällig wiedergefunden habe?

Fast hätte ich abge­lehnt, den Beu­tel mit­zu­neh­men, in der diese letzte noch vor­han­dene Kin­der­zeich­nung geschlum­mert hat. Ver­steckt zwi­schen Hand­ar­beits­uten­si­lien war sie seit über 30 Jah­ren in Sicher­heit und wäre jetzt bei­nahe doch noch weggekommen.

Sie stammt aus mei­ner Grund­schul­zeit. Der etwas hake­li­gen Schreib­schrift nach zu urtei­len, würde ich sagen: aus dem zwei­ten Schul­jahr. Fritz­chen ist eines der sechs Main­zel­männ­chen, die wäh­rend mei­ner Kind­heit durchs Vor­abend­pro­gramm des ZDF geturnt sind. Ich kann mich erin­nern, ganze Serien von die­sen Figu­ren gezeich­net zu haben – als sie noch nicht im Man­ga­stil »moder­ni­siert« waren. Dass ich auch mein Bunt­stif­t­etui damit ver­ziert habe, ist ein ech­ter Glücks­fall, denn die Zeich­nung hat nur über­dau­ert, weil meine Mut­ter in die­sem Etui zuletzt ihre Häkel­na­deln auf­be­wahrt hat.

Ich weiß noch nicht, was ich mit die­sem Fund mache. Viel­leicht aus­stel­len? Mir würde gefal­len, ein musea­les Erklär­schild­chen dane­ben zu platzieren:

»Edding auf Kunst­stoff, undatiert«

Wel­che Gedan­ken hast du zu die­sem Bei­trag? Hast du deine Kin­der­zeich­nun­gen auf­be­wahrt? Lass mir gerne einen Kom­men­tar unten in der Kom­men­tar­box da.❤

Hi, ich bin Viktoria.

Ich bin Zeich­ne­rin, Autorin und Dozen­tin. Ich erzähle mit Bildern.

Meine bevor­zugte Zei­chen­tech­nik ist die Skizze, meine liebs­ten Medien sind Tusche und Aqua­rell. Ich for­sche mit dem Stift in der Hand und liebe es, Men­schen, Gebäude, Orte, Hand­werk­li­ches und All­täg­li­ches zeich­nend zu dokumentieren.

Die Resul­tate sind gra­phi­sche Repor­ta­gen, häu­fig in Form von hand­ge­bun­de­nen Künstlerbüchern.

Hier im Blog schreibe ich über Dinge, die mich aktu­ell bewe­gen und zeige, was so alles in mei­nen Skiz­zen­bü­chern lan­det. Wenn du noch näher dran sein willst, auch für Ein­bli­cke zum aktu­el­len Gra­phic-Novel-Pro­jekt »Luft­wur­zeln«, dann hüpf gerne auf mei­nen News­let­ter.

Buchtipp: Panda-Pand von Saša Stanišić

Buchtipp: Panda-Pand von Saša Stanišić

Ver­öf­fent­licht: 21.01.2023 | Aktua­li­siert: 24.01.2023 | Mit (*) sind Part­ner-Links gekenn­zeich­net, zum Bei­spiel zum sozia­len Buchhandel.

Ich lese alles, was ich von Saša Sta­nišić in die Fin­ger bzw. vor die Augen bekomme. Seit neu­es­tem auch Kin­der­bü­cher. (Gene­rell finde ich, Kin­der­bü­cher sind eigent­lich die, die zäh­len. Gute, rele­vante Kin­der­bü­cher zu schrei­ben, ist anspruchs­voll und ver­bun­den mit einer beson­de­ren Ver­ant­wor­tung – weil sie die klei­nen Men­schen, für die sie gedacht sind, nach­hal­tig prä­gen können.)Alles, was ich bis­her von Saša Sta­nišić gele­sen habe, hat meine Tage rei­cher macht. Vor­der­grün­dig: Weil ich mich vor Lachen auf dem Boden krin­gelte oder – wahl­weise – einen Kloß im Hals bekam. Auch, weil ich den Sound der Spra­che und den Rhyth­mus der Texte liebe. Jedes Mal aufs Neue. Selbst, wenn es um bran­den­bur­gi­sche Dör­fer geht („Ein­woh­ner­zahl: gerade“).

Hin­ter­grün­dig: Weil es Texte gibt, die mir hel­fen, meine Schmerz­punkte anzu­schauen. Weil sie offen­bar nicht nur meine sind. Im Roman »Her­kunft«* habe ich ganz viele davon wie­der­ge­fun­den. Zum Bei­spiel die puber­täre Scham, die ver­hin­derte, Schul­freunde nach Hause in unsere win­zige Woh­nung ein­zu­la­den. Da ist plötz­lich jemand, der meine Erfah­rung nicht nur teilt, son­dern sie auch so beschrei­ben, so in Worte fas­sen kann, wie mir das aus nach­vi­brie­ren­der Betrof­fen­heit noch immer nicht gelingt.

Mein Erstkontakt mit Saša Stanišić

Mein Erst­kon­takt war »Vor dem Fest«*, in der Bahn­hofs­buch­hand­lung in Hagen, vor Jah­ren. Hän­gen­ge­blie­ben ist mein eilig über die Buch­rü­cken strei­fen­der Blick am -ić. „Ach guck, ein Jugo, der auf Deutsch schreibt.“

Wenn du als Jugo in Deutsch­land auf­ge­wach­sen bist, dann macht das neu­gie­rig. Es gibt da nicht so viele, mit rich­ti­gem Ver­lag und so. Mir jeden­falls fal­len nicht mal drei ein, das kann aber auch an mir lie­gen. Es kommt mir so vor, als ob die meis­ten Jugos aus mei­ner Gene­ra­tion Spe­di­ti­ons­kauf­mann oder Indus­trie­kauf­frau gewor­den sind. Nichts gegen Kauf­leute, aber von denen fin­det man so sel­ten Romane in Buch­hand­lun­gen. Schon gar keine guten.

Von Saša Sta­nišić kann man hin­ge­gen lesen, was man will. Es ist immer gut. Sogar die Trööts. Beson­ders die vor­der­grün­dig absurden.

In der Bahn­hofs­buch­hand­lung habe ich in »Vor dem Fest« rein­ge­le­sen und mei­nen Zug ver­passt. Das pas­siert mir sehr, sehr sel­ten und ist bei Büchern mein per­sön­li­cher Qua­li­täts­in­di­ka­tor. Wenn ich die Zeit ver­gesse, ste­hen die Chan­cen gut, dass ich ein Buch mehr­fach lesen werde – und sich ein Kauf somit lohnt. (Ansons­ten gibt es für mich nur wenig Argu­mente, die es recht­fer­ti­gen, ein Buch zu besit­zen. Aus­lei­hen reicht in den aller­meis­ten Fäl­len. Meine Meinung.)

Nun also »Panda-Pand«

Wie­der ein Zufalls­fund, dies­mal in der ört­li­chen Stadt­bü­che­rei. Ich konnte nicht daran vor­bei­ge­hen, ohne es mit­zu­neh­men. Wahr­schein­lich habe ich jetzt ein Kind sei­nes Lese­fut­ters beraubt. Was mich trös­tet: nur für kurze Zeit. Das ist das Gute an öffent­li­chen Biblio­the­ken; wir lei­hen nur tem­po­rär aus, was uns gefällt. Wir brin­gen es zurück, damit auch andere es lesen kön­nen. Ein ein­zi­ges Buch dient als Kris­tal­li­sa­ti­ons­punkt für die Lese­er­fah­run­gen sehr, sehr vie­ler Men­schen. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Men­schen zu Hause über­haupt den Platz für ein Bücher­re­gal hät­ten oder das Geld, um Bücher zu kau­fen. Öffent­li­che Büche­reien sind etwas zutiefst sozia­les und ver­bin­den­des. Sie gehö­ren zu den ganz weni­gen kos­ten­lo­sen Auf­ent­halts­or­ten ohne Konsumzwang.

Sorry, ich schweife ab. Also:

»Panda-Pand«*, Unter­ti­tel: »Wie die Pan­das mal Musik zum Früh­stück hatten«.

Ich mache es kurz: Lesen. Unbe­dingt! Und die Illus­tra­tio­nen gucken. Auch unbe­dingt! Und beim Vor­le­sen die roten Kom­men­tare mit ver­stell­ter Stimme vor­tra­gen. Und die geniale Ver­schmel­zung von Bild und Text genie­ßen. Und Nicht-Peters unter­schied­lich große Ohren im Pipip­fo­ten­stand. Und dich vor Lachen auf dem Boden krin­geln – auch wenn du kein Kind mehr bist.

Feine Besonderheiten

Illus­tra­ti­ons­be­geis­ter­ten bie­tet der Carlsen-Ver­lag noch einen Bonus auf der Web­site: Im Video zeigt der Illus­tra­tor Gün­ther Jakobs, wie man einen Panda zeich­nen kann.

Außer­dem gibt es im Buch noch einen bemer­kens­wer­ten Epi­log (»Aus der Welt, in die Geschich­ten«). Der bie­tet, nicht nur zum Thema Arten­schutz, viele Anknüp­fungs­punkte. Geeig­net sowohl zum Wei­ter­den­ken, wenn man das Buch als Erwachsene:r für sich liest, als auch zum Wei­ter­spre­chen mit Kin­dern, die das Buch gele­sen oder vor­ge­le­sen bekom­men haben. 

Ich klappe das Buch zu und frage mich: Ist das wirk­lich ein Kinderbuch?

Ja, und zwar ein sehr, sehr gutes. Weil es Kin­der ernst nimmt. Weil es schlau ist, ohne klug­zu­schei­ßen. Weil es über­dreht ist und ehr­lich. Weil die Spra­che Witz hat und Ele­ganz. Ich finde es bes­ser geschrie­ben als so einige Erwach­se­nen­bü­cher. Mach das mal! 

Wel­che Gedan­ken hast du zum Buch oder zu mei­ner Lese­emp­feh­lung? Lass mir gerne einen Kom­men­tar unter die­sem Arti­kel da.❤

Hi, ich bin Viktoria

Ich bin Illus­tra­to­rin, Autorin und Dozen­tin. Ich erzähle mit Bildern.

Meine bevor­zugte Zei­chen­tech­nik ist die Skizze, meine liebs­ten Medien sind Tusche und Aqua­rell. Ich for­sche mit dem Stift in der Hand und liebe es, Men­schen, Gebäude, Orte, Hand­werk­li­ches und All­täg­li­ches zeich­nend zu dokumentieren.

Die Resul­tate sind gra­phi­sche Repor­ta­gen, häu­fig in Form von hand­ge­bun­de­nen Künstlerbüchern.

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Entdeckung der Woche: Hannah Jacobs »On Melancholy«

Entdeckung der Woche: Hannah Jacobs »On Melancholy«

Ver­öf­fent­licht: 22.11.2022 | Aktua­li­siert: 22.11.2022 | Mit (*) sind Part­ner-Links gekennzeichnet

»On Melan­choly« ist ein ani­mier­ter Kurz­film von Han­nah Jacobs, der auf einem kur­zen Text von Alain de Bot­ton basiert. Ein­fa­che Zeich­nun­gen und schöne Bild-Meta­phern. Mir gefällt beson­ders der ver­blei­bende Schat­ten bei Minute 1:45. 

Der Link führt zur Web­site von Han­nah Jacobs. Dort kannst du dir den Kurz­film anschauen und erfährst mehr über die Mit­wir­ken­den und das Pro­jekt, das für »The School of Life« ent­stan­den ist.

Man kann über den »Popu­lär­phi­lo­so­phen« Alain de Bot­ton und seine zahl­rei­chen Bücher* den­ken, was man möchte, der Ani­ma­ti­ons­film von Han­nah Jacobs ist auf jeden Fall sehenswert.

Hi, ich bin Viktoria.

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Frappierende Ähnlichkeiten und auffällige Parallelen

Frappierende Ähnlichkeiten und auffällige Parallelen

Ver­öf­fent­licht: 09.11.2022 | Aktua­li­siert: 09.11.2022 | Mit (*) sind Part­ner-Links gekennzeichnet

Wenn ich an einem Tag gleich zwei­mal etwas über Men­schen lese, deren Werke „frap­pie­rende Ähn­lich­kei­ten“ zu ihren Vor­bil­dern auf­wei­sen, dann beschäf­tigt mich das gedank­lich. Zumal es in bei­den Fäl­len Män­ner sind, die sich offen­bar an den Ideen ihrer weib­li­chen Vor­bil­der bedient haben – ohne die »Inspi­ra­ti­ons­quelle« in irgend­ei­ner Weise kennt­lich gemacht zu haben. Nun sind zwei Fälle keine sta­tis­tisch valide Stich­probe, aber da ich die The­ma­tik aus eige­nem Erle­ben mit Kol­le­gen auch kenne, trig­gert mich das gerade.

Rose Macaulay und Aldous Huxley

Der erste Fall ist mir in der Rezen­sion von Chris­tina Mohr begeg­net. Sie bespricht Rose Macau­lays dys­to­pi­schen Roman »Was nicht alles«*, der 2022 erst­mals auf Deutsch erschie­nen ist. Das eng­lisch­spra­chige Werk hat Macau­lay bereits 1918 unter dem Titel »What not« ver­öf­fent­licht – und damit 14 Jahre, bevor Aldous Hux­leys »Schöne neue Welt«* erschie­nen ist.

Hux­leys »Schöne neue Welt« bzw. »Brave New World« ist (zusam­men mit George Orwells »1984«) fes­ter Bestand­teil von Lehr­plä­nen in Schu­len. Hux­ley ist mir ein Begriff, Rose Macau­lay war es bis­her nicht. Von Hux­leys Roman gibt es min­des­tens zwei Bear­bei­tun­gen als Gra­phic Novel (eine illus­triert von Rein­hard Kleist*, die andere von Fred Ford­ham*), von Rose Macau­lays Werk gibt es das nicht.

Im Vor­wort der eng­li­schen Neu­auf­lage von Macau­lays Roman weist nun die Dozen­tin und Jour­na­lis­tin Sarah Lons­dale auf »zum Teil frap­pie­rende Ähn­lich­kei­ten« zwi­schen »Schöne neue Welt« und »Was nicht alles« hin.

Es gibt zwar keine Belege dafür, dass Hux­ley »What not« gele­sen hat, aber es ist sehr wahr­schein­lich, dass er und Macau­lay sich gekannt haben. Beide waren in den 1920ern regel­mä­ßig Gäste im Lite­ra­tur­sa­lon einer gemein­sa­men Freun­din. Kann also gut sein, dass, wie Chris­tina Mohr in ihrer Buch­be­spre­chung schreibt, sie „sich dort womög­lich über eine zukünf­tige ‚schöne neue Welt‘ respek­tive ‚was nicht alles‘ unterhielten.“

Emine Sevgi Özdamar und Feridun Zaimoğlu

Über den zwei­ten Fall stol­perte ich am Abend des­sel­ben Tages. Zur Ent­span­nung höre ich gerne Pod­casts, unter ande­rem das Lite­ra­tur­ma­ga­zin »Zei­chen und Wun­der« des WDR. Im (sehr leben­di­gen) Inter­view war die dies­jäh­rige Georg-Büch­ner-Preis­trä­ge­rin Emine Sevgi Özda­mar; ich hatte anschlie­ßend Lust, mehr über sie und ihr Werk zu erfahren.

Bei der Recher­che ent­de­cke ich ziem­lich bald, dass auch hier, wie der Jour­na­list Chris­toph Schrö­der for­mu­liert, „die lite­ra­ri­sche Ver­wer­tung von Fremd­ma­te­rial“ vor­ge­kom­men ist. Offen­bar weist der Roman »Leyla«* von Fer­idun Zai­moğlu „auf­fäl­lige und zahl­rei­che Par­al­le­len“ zu Emine Sevgi Özda­mars auto­bio­gra­phi­schem Roman »Das Leben ist eine Kara­wan­se­rei, hat zwei Türen, aus einer kam ich rein, aus der ande­ren ging ich raus«* auf. Zufäl­li­ger­weise hat auch sie ihr Werk 14 Jahre vor Zai­moğlu veröffentlicht.

Die Autorin ver­zich­tet auf eine juris­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zung – mög­li­cher­weise, weil sie und ihr Kol­lege Zai­moğlu im sel­ben Ver­lag ver­öf­fent­li­chen. Trotz­dem steht der Pla­gi­ats­vor­wurf im Raum, denn 2006 wird der Fall inten­siv in den Feuil­le­tons deut­scher Zei­tun­gen diskutiert.

Was daraus folgt?

Glo­bal gese­hen: ver­mut­lich nichts.

Für mich: Ich werde die Bücher von Rose Macau­lay und Emine Sevgi Özda­mar lesen, um mir ein eige­nes Bild zu machen. Wenn sie als Vor­den­ke­rin­nen für ihre männ­li­chen Kol­le­gen gedient haben, könnte sich das mehr loh­nen, als sich wei­ter mit den »inspi­rier­ten« Hux­ley und Zai­moğlu zu beschäftigen.

Hi, ich bin Viktoria.

Ich bin Illus­tra­to­rin, Autorin und Dozen­tin. Ich erzähle mit Bildern.

Meine bevor­zugte Zei­chen­tech­nik ist die Skizze, meine liebs­ten Medien sind Tusche und Aqua­rell. Ich for­sche mit dem Stift in der Hand und liebe es, Men­schen, Gebäude, Orte, Hand­werk­li­ches und All­täg­li­ches zeich­nend zu dokumentieren.

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Die Zeichnung als Film: Zeitraffer als künstlerisches Stilmittel

Die Zeichnung als Film: Zeitraffer als künstlerisches Stilmittel

Aktua­li­siert: 26.10.2022 | Mit (*) sind Part­ner-Links gekennzeichnet

Oft wer­den in mei­nen Insta­gram-Feed digi­tale Zeit­raf­fer­auf­nah­men gespült. Damit meine ich Auf­nah­men, die einige Zei­chen-Apps (wie zum Bei­spiel Pro­create oder Fresco) auto­ma­tisch im Hin­ter­grund erstel­len, wäh­rend Strich für Strich ein Motiv auf dem Tablet gezeich­net wird. Dabei wird jeder ein­zelne Bear­bei­tungs­schritt fest­ge­hal­ten, jede neue Linie, jedes Löschen, jedes Ein­fär­ben, Ver­klei­nern, Ver­grö­ßern usw. Man kann sich die zeit­li­che Abfolge der Schritte von der App als Film­da­tei aus­ge­ben las­sen und erhält dann einen Zeit­raf­fer vom Ent­ste­hungs­pro­zess des Bildes.

Je nach Motiv ist das ein mehr oder weni­ger unter­halt­sa­mer Ein­blick (Was zeich­net jemand in wel­cher Rei­hen­folge?), der aber schnell wie­der ver­ges­sen ist. Denn oft wird nicht mehr gezeigt, als etwa Skiz­zen von Bär­chen oder Häs­chen oder ande­ren Nied­lich­kei­ten. Der Ein­blick in den Ent­ste­hungs­pro­zess als Bewegt­bild ist für viele Künstler:innen eine nette Drein­gabe, ein Bonus (weil die App das halt her­gibt); das Pro­dukt des Tuns – und damit im Fokus – ist aber meist die fer­tige Zeichnung.

Nicht so bei Mehrdad Zaeri.

Ein Film, der durchs Zeichnen entsteht

Bei ihm habe ich eine Zeit­raf­fer­auf­nahme ent­deckt, bei der das fil­mi­sche Poten­tial schon beim Zeich­nen mit­ge­dacht ist. Digi­tale Farb­schich­ten über­la­gern ein­an­der wie­der und wie­der, Motive ent­wi­ckeln sich, wer­den über­malt, Hel­lig­kei­ten und Dun­kel­hei­ten kom­men ins Bild und ver­schwin­den unter der jeweils nächs­ten Farb­schicht. Für mein Emp­fin­den geht es hier nicht um das »fer­tige Bild am Ende«, denn es könnte sich gut noch eine ganze Zeit lang immer wei­ter ver­än­dern. Das Ergeb­nis künst­le­ri­schen Tuns ist hier die fort­wäh­rende Trans­for­ma­tion des Motivs.

Das ist ein Film, der durchs Zeich­nen ent­steht – aber ohne den pro­zes­sua­len Auf­wand eines ani­mier­ten Zeichentrickfilms.

Das ist ein klei­ner Film, der eine große Geschichte erzählt – und sich nicht auf den Ent­ste­hungs­pro­zess eines ein­zel­nen Motivs beschränkt.

Was mir so gut gefällt, sind zwei Aspekte:

Mehrdad Zaeri nutzt klug die Mög­lich­kei­ten, die eine digi­tale Zei­chen-App bie­tet. Und im Resul­tat erschafft er damit visu­elle Poesie.

Reel im Insta­gram-Feed von Mehrdad Zaeri mit der Zeit­raf­fer­auf­nahme einer digi­ta­len Zeich­nung. Die fil­mi­schen Mög­lich­kei­ten der Zei­chen-App wer­den hier klug genutzt.

Screenshot des Instagrem-Feeds von Mehrdad Zaeri

Screen­shot des Insta­gram-Feeds von Mehrdad Zaeri, zu sehen ist das Schluss­bild der Zeitrafferaufnahme.